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24.06.2025

China verspielt seine Jahrhundert-Chance

Die neue Ausgabe der Lupus alpha Kolumne leitwolfs view

Das 21. Jahrhundert soll das chinesische werden, erwarten Ökonomen, Zukunftsforscher und Politologen. Warum, liegt auf der Hand: China ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen, dominiert globale Lieferketten und erobert zunehmend eigene Märkte bis hin zur Elektromobilität. Doch die Erfolgsgeschichte gerät ins Wanken. Zu beobachten ist nicht der weitere unangefochtene Aufstieg Chinas zur dominierenden Weltmacht, sondern vielmehr die Selbstsabotage einer aufstrebenden Nation.

von Dr. Markus Zuber, Partner und CSO von Lupus alpha

 

China steht vor strukturell großen Herausforderungen. So großen, dass das Land möglicherweise daran scheitert, jemals die USA als führende Weltmacht abzulösen. Wie konnte es dazu kommen?

Ausgebremst hat den Aufstieg vor allem der von Staatsführer Xi Jinping seit 2012 eingeleitete radikale Politikwechsel. Während seine Vorgänger auf wirtschaftliche Öffnung und eine eher kollektive Machtausübung setzten, markieren die Machtkonzentration auf seine Person, die Rückkehr zu ideologischer Kontrolle und eine zunehmend repressive Innenpolitik einen klaren Bruch mit der Reformpolitik der vergangenen Jahrzehnte.

Der China-Experte Jörg Wuttke beobachtet die Volksrepublik seit drei Jahrzehnten aus nächster Nähe. Im Rahmen eines Dinners mit Kunden von Lupus alpha analysierte er kürzlich: "Die autoritäre Wende unter Xi hat zu einem politischen System geführt, das zunehmend realitätsfern wird." China, so Wuttke, wird inzwischen von einem alternden Mann geführt, der sich in einer "Echokammer" bewegt. Im Regierungsbetrieb Pekings haben sich unter Xi aufgeklärte, informierte Politiker zu Jasagern gewandelt. Hier zeigt sich das grundlegende Dilemma autoritärer Herrschaft: Je mehr Macht konzentriert wird, desto weniger Korrektive gibt es für Fehlentwicklungen.

Strukturelle Grenzen des Wachstums

Die politische Erstarrung beschleunigt Chinas Weg zu 'Peak China', dem Punkt, an dem der Aufstieg Chinas seinen Höhepunkt erreicht. Dahinter stehen massive wirtschaftliche Verwerfungen. Die rund 150.000 lokalen staatseigenen Unternehmen leiden unter extremer Verschuldung, kaum eines erzielt Gewinne. Von den 31 Provinzen Chinas sind 12 notleidend. Shanghai, einst pulsierende Metropole, ist laut Wuttkes persönlicher Beobachtung seit Corona eine traumatisierte Stadt. Ein Trauerspiel. Und Tianjin, einst als Modellregion gepriesen, steht finanziell am Abgrund.

Am Immobilienmarkt und in der systematischen Überproduktion zeigen sich Chinas strukturelle Schwächen besonders deutlich. 90 Millionen Apartments stehen leer, der Immobilienmarkt liegt am Boden, ein Symbol für die Verschwendung von Ressourcen und die Fehlallokation von Kapital – ebenso wie die 140 (!) chinesischen Automobilhersteller, die in 450 Fabriken jährlich 23 Millionen Autos bauen. Solche Überkapazitäten sind systemimmanent und eine direkte Folge von Xi Jinpings zentralistischem Ansatz – ein Teufelskreis aus politischen Anreizen und wirtschaftlicher Ineffizienz.

Aber auch in der chinesischen Gesellschaft liegt Konfliktpotenzial: Einerseits gibt es eine große Zahl hervorragend ausgebildeter junger Menschen, die das Innovationspotenzial des Landes ausmachen. In den Provinzen arbeiten sehr fähige Leute, die teilweise an renommierten internationalen Universitäten studiert haben. Andererseits erzeugt die hohe Arbeitslosigkeit gerade unter diesem Teil der Bevölkerung eine frustrierte Generation, die ihre Talente nicht entfalten kann. Das starke Gefälle zwischen urbanen Eliten und bildungsferner ländlicher Bevölkerung wird zu einer zusätzlichen Belastung für Chinas Entwicklung.

Und nicht zu vergessen, die demografische Entwicklung, die Chinas Probleme zusätzlich verschärft: Mit nur 1,1 Kindern pro Frau – in Shanghai sogar nur 0,6 – steht China vor einer der schwerwiegendsten Alterungskrisen weltweit. Schon seit 2018 ist die arbeitende Bevölkerung rückläufig. Bei den offenkundigen strukturellen und demografischen Problemen ist realistisch ein Wachstum von 2-3% anzunehmen – weit entfernt von den offiziell verkündeten 5%.

Das amerikanische Jahrhundert geht weiter

Während China mit diesen vielfältigen Problemen kämpft, könnte das 21. Jahrhundert erneut ein amerikanisches werden. Selbst unter Donald Trump, dessen Politik mehr als umstritten ist, bleibt die fundamentale Stärke der amerikanischen Wirtschaft bestehen. Der Dollar dominiert weiterhin das internationale Finanzsystem, und die Innovationskraft der USA bleibt ungebrochen.

Denn: Die USA verfügen über flexible Institutionen, eine dynamische Innovationskultur und vor allem die Fähigkeit zur politischen Selbstkorrektur. China hingegen unterliegt dem Grundproblem aller autoritären Systeme: Sie können sich nicht reformieren. Dieser fundamentale Unterschied in der Anpassungsfähigkeit wird über den Ausgang des geopolitischen Wettbewerbs entscheiden.

Europas Chance

Noch erscheint China übermächtig, doch die Probleme sind offenkundig. Gleichzeitig sind Wirtschaft und Investoren nachhaltig von der aktuellen US-Politik verunsichert. Für Europa öffnet sich hier die Chance, eine gleichberechtigte Partnerschaft mit China zu entwickeln. Denn selbst bei einem realistisch anzunehmenden Wachstum von unter 3% bleibt das Land ein attraktiver Markt. Auch wenn China in vielen Technologien zuletzt davongeeilt ist, verfügt Europa über Stärken, in denen es China überlegen ist, etwa in den Bereichen Medizintechnik, Biotechnologie oder hochwertige Industrietechnologie. 

Mit Blick auf Europas eigenen Wirtschaftsraum kommt die starke Währung „Vertrauen“ hinzu, die sich in verlässlicher, vorhersehbarer Politik, aber auch in überlegenen Governance-Strukturen äußert – Stärken, die China nie hatte und die in jüngster Zeit auch die USA vermissen lassen. Aber die Investoren suchen weiter nach attraktiven Investitionsgelegenheiten – und werden zunehmend in Europa fündig. Das alles kann freilich kaum die erhoffte Dynamik entfalten, wenn Europa nicht seine eigenen Tendenzen zur Selbstsabotage überwindet: ausufernde Bürokratie, Überregulierung und mangelnde Innovationskultur. Erste Ansätze in diese Richtung sind zu beobachten. Ob die Politik wirklich verstanden hat, wird sich zeigen.

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Was meinen Sie, wird Europa seine Chance nutzen?

Ich freue mich über Ihren Kommentar an leitwolfsview@lupusalpha.de.

 

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