Von Rekordhochs weit entfernt – deutsche Small & Mid Caps hinken den Large Caps weiter hinterher. Dieser Trend dürfte sich bald umkehren, sagt Björn Glück, Fondsmanager des Lupus alpha Smaller German Champions. Im Interview mit Edda Vogt, Deutsche Börse, erläutert er die Gründe, und warum Stockpicking in diesem Bereich besonders wichtig ist.
Edda Vogt: Sie suchen nach interessanten Nebenwerten. Vorweg die Frage: Wie genau definiert man Nebenwerte?
Björn Glück: In Europa gelten Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von bis zu 1 Milliarde Euro als Small Caps, mit bis zu 10 Milliarden Euro als Mid Caps. In den USA sind die Dimensionen größer, dort sind es bis zu 5 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 25 Milliarden US-Dollar. In jedem Fall handelt es sich bei Nebenwerten um Unternehmen, die „unter dem Radar fliegen“. Das ist die breite Masse.
Seit dem Frühjahr 2022 entwickeln sich Small & Mid Caps schlechter als Large Caps – entgegen dem historischen Trend mit Überrenditen für die Kleinen und Mittelgroßen. Warum ist das so?
Inflation, Ukraine-Krieg, Rezession und dann steigende Zinsen haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren für einen toxischen Cocktail gesorgt. Die Risikoaversion am Markt kletterte dadurch in Höhen, die wir allenfalls aus der Zeit der Finanzkrise 2007/2008 kennen. Die Folge: Große Investoren wollten liquide bleiben und favorisierten Large Caps. Auch die im Schnitt höhere Verschuldung kleinerer Unternehmen war ein Grund für die Abkehr von Nebenwerten, ebenso das oftmals zyklischere Geschäft.
War diese Underperformance auch weltweit zu beobachten?
Der Trend hin zu großen und weg von mittleren und kleinen Werten war ein weltweites Phänomen. Auch der Russell 2000 in den USA ist stark hinter dem S&P 500 zurückgeblieben, daran hat auch die teils sehr gute Entwicklung im Juli nichts geändert. Das Phänomen war in Europa und speziell Deutschland allerdings noch etwas ausgeprägter. Im Fall von Deutschland dürfte das an der größeren Abhängigkeit unserer Wirtschaft von China liegen, denn Chinas Wirtschaft hat im Moment viele Probleme.
Sie rechnen nun mit einer Umkehr des Trends, also einem Aufholen der Nebenwerte. Warum?
Die unterdurchschnittliche Entwicklung der Nebenwerte an der Börse hatte keine strukturellen Gründe. Sie war vielmehr temporär und zyklisch bedingt. Jetzt ist die Lage aber schon etwas anders: Die Inflation ist rückläufig und die EZB hat die Zinsen erstmals wieder gesenkt. Wenn sich jetzt auch noch die Stimmungsindikatoren stabilisieren, dürfte die Risikoaversion wieder sinken. Viele kleine und mittelgroße Unternehmen erwirtschaften zudem gute Gewinne. Historisch sind die Gewinne von Small & Mid Caps im Schnitt stärker gewachsen als die von Large Caps. In Europa hatten wir zum Beispiel bei den Nebenwerten bis 2022 ein EPS-Wachstum von 10 Prozent im Jahr, bei den großen Unternehmen waren es nur 5 Prozent. Das dürfte sich fortgesetzt haben.
Auch die Umsätze wachsen stärker. Für ein großes Unternehmen wie Siemens ist es schon eine enorme Leistung, zweimal so schnell zu wachsen wie das BIP. Kleinere Unternehmen können ihren Umsatz in einem Jahr aber auch schon einmal verzehnfachen – mit entsprechendem Aktienkursanstieg. Mein Lieblingsbeispiel ist Dialog Semiconductor, mittlerweile vom japanischen Halbleiterkonzern Renesas übernommen. Der Kurs stieg von unter 1 Euro 2008 auf über 50 Euro – vor allem wegen eines Chips für das iPhone.
Wie gehen Sie als Manager des Lupus alpha Smaller German Champions bei der Auswahl der Nebenwerte vor?
Bei der Suche nach vielversprechenden Werten schauen wir uns grundsätzlich alle deutschen Aktien außerhalb des DAX an. Nur eine gewisse Liquidität ist erforderlich. Damit kommen wir auf aktuell rund 250 Titel. Mindestens einmal im Jahr finden Treffen mit den Unternehmen statt. Außerdem schauen wir auf die Verschuldung, ebenso das KGV und das EPS-Wachstum über einen längeren Zeitraum. Wir haben festgestellt, dass eine Serie guten EPS-Wachstums meist in die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Auch der Freie Cashflow ist aussagekräftig. Dieser kann allenfalls kurzzeitig negativ sein bei vielversprechenden Investitionen.
Insgesamt ist ein Missverhältnis von operativer Lage und Bewertung ideal. Je kleiner das Unternehmen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dies noch unentdeckt geblieben ist.
Sehen Sie Chancen für alle Branchen gleichermaßen?
Es gibt durchaus Unterschiede zwischen den Branchen. Interessant sind sicherlich zukunftsträchtige Sektoren wie die Halbleiterindustrie, auch in Deutschland. Der Maschinenbau bietet eine große Vielfalt – von Anlagenherstellern für die Getränkeindustrie bis hin zu Garküchengeräteanbietern. In der Softwarebranche gibt es ebenfalls viele stark wachsende Unternehmen.
Nun wird immer mehr passiv investiert. Was bedeutet das für Nebenwerte?
In der Tat ist das der einzige strukturelle Gegenwind für Nebenwerte, den ich sehe. Der Trend zu passivem Investieren ist nicht zu leugnen, in den USA entfallen darauf schon 50 Prozent der Mittelzuflüsse. Auch in Europa setzen immer mehr Investoren auf den MSCI World und damit zur Hälfte auf die USA. So fließt viel Geld in die Large Caps. Allerdings ist es in der Vergangenheit stets schnell zu Umschichtungen in Small & Mid Caps gekommen, wenn diese gut laufen. Als beispielsweise 2009, also nach der Finanzkrise, das Zutrauen in die wirtschaftliche Erholung wuchs, haben sich Nebenwerte schnell erholt.
Übrigens kann man in Nebenwerte natürlich auch passiv investieren. MDAX und SDAX sind durchaus gute Indizes. Gerade in diesem Segment spricht aber einiges gegen passives Investieren, besonders jetzt. Ein Beispiel: Mehr oder weniger alle hoch verschuldeten Unternehmen sind derzeit schon niedrig bewertet. Doch eine hohe Verschuldung kann problematisch sein, muss es aber nicht – wenn etwa hohe Cashflows ein schnelles Rückführen der Schulden ermöglichen. Es gilt also zu differenzieren.
Was muss noch passieren, damit es zur Aufholjagt der Nebenwerte kommt?
Die Konjunktur muss sich weiter aufhellen, die Inflation darf nicht mehr aufflammen, so dass die Zinsen nicht wieder steigen. Große Fondsmanager dürften dann in Zugzwang geraten und Nebenwerte wieder einbeziehen. Man sollte den Schuss nicht verpassen. Das Jahr der Trendwende verspricht – wie 2009 gezeigt hat – die attraktivsten Renditen.
Aber die Stimmung in Deutschland ist derzeit schlecht...
Die Stimmung der großen Investoren bezüglich Deutschland ist in der Tat schlecht. Bei den hiesigen Unternehmen ist das anders, auch den kleinen und mittelgroßen. Glücklich sind sie zwar nicht angesichts des Fachkräftemangels, der überbordenden Bürokratie und der Überregulierung. Die Unternehmensgewinne sind für dieses harsche Umfeld aber ordentlich.
Wir haben in Europa und auch in Deutschland zahlreiche Unternehmen, die innovativ sind und einen sehr guten Job machen. Die industrielle Basis ist solide. Europa wird im Halbleitersegment unterschätzt, ebenso im Healthcare-Bereich. Vom großen Erfolg von Large Caps wie dem Halbleiterhersteller ASML oder dem Pharmaunternehmen Novo Nordisk profitieren auch viele Nebenwerte, etwa der Halbleiterausrüster SÜSS MicroTec oder Spritzenhersteller wie Gerresheimer. Small & Mid Caps sind zwar im Schnitt zyklischer, das gilt aber längst nicht für alle. Die Verschuldung ist im Schnitt zwar höher, oft ist dies aber unproblematisch. Die Stimmung ist schlechter als die Lage. Viele Small & Mid Caps stehen richtig gut da – das kann der Markt auf Dauer nicht ausblenden.